Gleichgestellt bis 2030?

Gleichberechtigung im Koalitionsvertrag

Die neue Bundesregierung steckt in ihrem Koalitionsvertrag ambitionierte Ziele für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Damit alle Frauen wirtschaftlich unabhängig leben und gleichgestellt arbeiten können, braucht es aber noch deutlichere Maßnahmen.

Text: Frauke Janßen
Fotos: Istock
[Online-Artikel]

Wenn es politisch um die Benachteiligung von Frauen geht, war bislang meist das dafür ausgewiesene Ministerium zuständig. Dass die Gleichstellung laut Koalitionsvertrag der Ampelregierung nun zum Leitprinzip für alle Politik-Ressorts erhoben werden soll, ist für Beate von Miquel ein großer Erfolg. Von Miquel sitzt seit letztem Sommer dem Deutschen Frauenrat vor, der bundesweit die Interessen von rund 60 Frauenorganisationen vertritt. Sie freut sich darüber, dass die Benachteiligung von Frauen nun auf allen politischen Ebenen in Entscheidungsprozesse und Gesetzentwürfe mit einbezogen werden soll. Was theoretisch klingt, könnte praktisch umgesetzt das gesellschaftliche und politische Umdenken in Frauenfragen tatsächlich voranbringen. Dabei geht es keineswegs nur um den zu geringen Frauenanteil in den einzelnen Ressorts oder darum, dass zu wenige Frauen in Führungspositionen arbeiten. "Wir brauchen in ganz vielen verschiedenen Bereichen Verbesserungen für die Lebenswirklichkeit von Frauen, und dafür kann nicht nur das Ministerium für Frauen und Familien den Hut auf haben", führt Beate von Miquel aus. In allen Ressorts müsse man sich überlegen was es brauche, um die Chancen für Frauen gegenüber Männern deutlich zu verbessern, so die Vorsitzende des Dachverbands.

Beate von Miquel zählt einige Punkte auf, die laut Koalitionsvertrag zu den Baustellen gehören: Das sogenannte Istanbul-Abkommen zum Schutz vor Gewalt an Frauen wolle die neue Bundesregierung vorbehaltlos umsetzen, außenpolitisch wolle sie sich für Frauen mehr einsetzen, in der medizinischen Forschung sollen die geschlechterspezifischen Bedarfe von Frauen mehr berücksichtigt werden, Frauen sollen an der Gestaltung und Entwicklung der Digitalisierung  stärker beteiligt werden und auch verkehrspolitisch wolle man sie künftig mehr in den Blick nehmen. Frauen nutzen beispielsweise deutlich häufiger öffentliche Verkehrsmittel als Männer, sodass der Ausbau und die Förderung des Nahverkehrsnetzes ihre Mobilität verbessern dürfte. Letzteres würde zugleich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Dass zu viele Frauen wirtschaftlich immer noch nicht mit Männern gleichgestellt sind, sprich über weniger Geld verfügen, führt wiederum dazu, dass sie von den Folgen der Klimaerwärmung etwa hinsichtlich der steigenden Energiepreise stärker betroffen sind und die Pandemie häufiger schmerzhaft zu spüren bekommen.

Das Problem Minijob
Die Ampel-Regierung verspricht ein Jahrzehnt des Fortschritts und stellt die Gleichstellung von Frauen bis zum Jahr 2030 in Aussicht. "Bis dahin sind noch dicke Bretter zu bohren", stellt Marion Salot, Referentin für Gleichstellungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen dazu fest. "Es fehlt vor allem an konkreten Maßnahmen, um die ökonomische Situation von Frauen zu verbessern." Da wären beispielsweise die umstrittenen Minijobs, von denen Frauen zwei Drittel ausüben. In der Pandemie zeigt sich einmal mehr, dass die Jobs nicht krisenfest sind. Wer Minijobs ausübt, läuft Gefahr in der Altersarmut zu enden. Davon sind Frauen wesentlich häufiger betroffen, weil Männer viel öfter in festen Vollzeit-Jobs arbeiten als Frauen. Statt die Minijob-Grenze noch zu erhöhen, wie es die neue Regierung vorhat, gilt es, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen umzuwandeln, um Schutzmechanismen statt prekärer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen.

Bei der Elternzeit ist noch Luft nach oben
Auch die geplanten Änderungen bei der Elternzeit greifen viel zu kurz. Nach wie vor ist es vor allem die Familienphase, die dazu führt, dass Frauen zurückstecken und in die Teilzeitfalle rutschen, während Männer beruflich durchstarten. Dabei zeigen inzwischen zahlreiche Studien: Je länger Väter in Elternzeit gehen, desto häufiger übernehmen sie auch später Verantwortung bei der Kinderbetreuung. Mütter gehen in der Regel zwölf Monate in Elternzeit. Die Koalition möchte nun die sogenannten Väter-Monate von zwei auf drei Monate ausweiten. "Damit perspektivisch eine Angleichung der Elternzeit erreicht werden kann, sollten die Partnermonate auf mindestens vier –besser auf acht Monate – ausgeweitet werden, in denen die Väter auch möglichst alleine für Kinder und Haushalt zuständig sind", sagt Marion Salot.

Reformbedarf beim Ehegattensplitting
Ein steuerpolitisches Instrument, das Frauen nicht selten zum Nachteil wird, ist das Ehegattensplitting. Es sorgt dafür, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Besteuerungseinheit Ehe sich nach dem gemeinsamen Einkommen bemisst. Die häufiger geringerverdienende Ehefrau hat einen höheren Grenzsteuersatz, als sie unverheiratet hätte. Jeder von ihr dazuverdiente Euro wird vergleichsweise hoch besteuert. Was folgt daraus? Arbeiten lohnt sich für die betroffenen Ehefrauen im Vergleich zu ihren besserverdienenden Männern weniger – abgesehen von den Minijobs, die ihnen wiederum keinerlei Absicherung bieten. "Modellrechnungen haben gezeigt, dass Frauen, die von einem Minijob in eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung wechseln, in der sie doppelt viel arbeiten, nur rund 1000 Euro netto im Jahr mehr verdienen", rechnet Arbeitnehmerkammer-Referentin Marion Salot vor.

Das Ehegattensplitting wurde in den 1950er Jahren in Deutschland eingeführt. In einer Zeit also, in der die Ehe als feste gesellschaftliche Bank mit traditionell geprägten Rollenbildern galt. Als Anreizsystem für verheiratete Besserverdiener, passt das Ehegattensplitting schon lange nicht mehr zu den Lebenswirklichkeiten vieler Menschen. Die Regierungskoalition plant immerhin, die Kombination der Steuerklassen 3 und 5 in der Ehe dahingehend abzuschaffen, dass beide Eheleute künftig in Steuerklasse 4 arbeiten sollen. "Dennoch bleibt das Ehegattensplitting in der Summe ein Problem, weil damit die Steuervorteile für Ehepaare mit sehr ungleichen Einkommen bestehen bleiben", sagt die Frauenratsvorsitzende Beate von Miquel. Sie spricht sich für die Abschaffung aus und wünscht sich für Deutschland die Individualbesteuerung, die Schweden bereits Anfang der 1970er Jahre eingeführt hat. "Sie hat den Vorteil, dass die gegenseitige Unterhaltsverpflichtung am Ende steuerfrei bleiben kann", führt von Miquel aus.  

Die Arbeitnehmerkammer Bremen möchte das Ehegattensplitting dahingehend reformieren, dass nur noch ein Teil des meist von den Ehemännern erzielten höheren Einkommens auf die Ehefrauen übertragen werden kann.Zugleich positioniert sich die Arbeitnehmerkammer für eine Abschmelzung der Minijobgrenze auf 150 Euro pro Monat. Fest steht: Das jetzige Anreizsystem aus der Kombination von Ehegattensplitting und Minijob blockiert die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen in der Gesellschaft – so auch das Vorhaben der Ampelkoalition, Frauen bis 2030 gleich zu stellen. Marion Salot fasst zusammen: "Um das zu ermöglichen, brauchen wir klare politische Werte und konkretere Maßnahmen."