Corona bestimmt den Arbeitsmarkt

Die Folgen der Pandemie für Beschäftigte

Rekordwerte bei der Kurzarbeit, gestiegene Arbeitslosenzahlen, gesunkene Löhne: Die Corona-Pandemie hat auch die Arbeitswelt fest im Griff. Es bedarf weiterer politischer Eingriffe, um die negativen Langzeitfolgen so gering wie möglich zu halten.

Text: Anne-Katrin Wehrmann
Foto: Kay Michalak

Antonio Pauli (Name von der Redaktion geändert) ist Koch aus Leidenschaft. Schon als kleiner Junge wusste er, dass dies sein Traumberuf sein würde. „Mein Vater war auch Koch“, erzählt der 26-Jährige. „Wenn ich ihn bei der Arbeit besucht habe, fand ich es immer toll, die Hektik in der Küche zu erleben und das Klappern zu hören.“ Heute liebt er es, wenn er selbst frische Lebensmittel in der Hand hält und kreativ mit ihnen arbeiten kann.

Was viele andere als störend empfinden, ist für ihn eine Extra-Motivation: „Stress ist für mich ein kleiner Nervenkitzel. Ich finde es auch cool zu arbeiten, wenn andere freihaben – zum Beispiel Silvester oder an Sonntagen.“ Für einen „richtigen Koch“ sei die Arbeit kein Beruf, sondern ein Leben, meint Pauli. Da nimmt er es auch in Kauf, dass er mit knapp 1.600 Euro netto nicht gerade üppig verdient. In normalen Zeiten kommen noch einmal rund 300 Euro Trinkgeld pro Monat hinzu, außerdem bis zu 350 Euro durch seinen Nebenjob als Streetworker. Damit kommt er einigermaßen entspannt über die Runden.

Im April und Mai 2020 war mehr als ein Fünftel aller Bremer Beschäftigten in Kurzarbeit.


Doch seit mehr als einem Jahr sind die Zeiten nicht mehr normal. Das Restaurant, in dem Antonio Pauli arbeitet, musste wegen der Corona-Auflagen im März vorigen Jahres schließen und war danach nur vor dem zweiten Lockdown für wenige Monate ge - öffnet. Auch seinen Nebenjob konnte er die meiste Zeit nicht ausüben. Für den 26-Jährigen bedeutet das: kein Trinkgeld, keine Nebeneinkünfte, dazu nur Kurzarbeitergeld – in den ersten Monaten gut 900 Euro, seit dem siebten Monat knapp 1.300 Euro.

Unter dem Strich steht so ein Verlust von mehr als 1.000 Euro pro Monat. „Als ich meine erste Abrechnung gesehen habe, war das ein Schlag“, erzählt er. „Die Fixkosten werden ja nicht weniger. Und wenn plötzlich nur noch 100 Euro übrig sind, aber der Monat gerade erst anfängt, ist das schon heftig.“ Sein Glück im Unglück: Er hatte Geld zurückgelegt, um damit seinen Führerschein finanzieren zu können. Mit diesen Ersparnissen konnte er nun die gröbsten Engpässe auf­fangen.

Kurzarbeit federt das Schlimmste ab

Das Pandemie-Geschehen dominiert auch im Land Bremen die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Auch wenn die Kurzarbeit zunächst geholfen hat, viele Arbeitsplätze zu erhalten: Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit war 2020 nicht zu verhindern, die Arbeitslosenzahlen lagen durchgängig über denen von 2019. Im Dezember waren fast 41.000  Menschen arbeitslos, 5.000  mehr als ein Jahr zuvor. Wie es am Ende dieses Jahres aussehen wird, ist ungewiss.

Die bremische Wirtschaftsleistung sank 2020 nach vorläufigen Berechnungen preisbereinigt um sieben Prozent, wie der aktuelle Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen zeigt. Besonders deutlich waren und sind die stark unter Corona leidenden Branchen wie das Gastgewerbe und der stationäre Einzelhandel betroffen. Beispiele wie das von Antonio Pauli zeigen: Die Kurzarbeit hat zwar vielen Beschäftigten zumindest für den Moment die Sorge um ihren Arbeitsplatz nehmen können. Die individuellen Auswirkungen sind aber dennoch oft erheblich.

Allein in den beiden Spitzenmonaten April und Mai 2020 waren mehr als 70.000 Bremerinnen und Bremer und damit mehr als ein Fünftel aller Beschäftigten in Kurzarbeit. Da die aktuelle Krise gerade auch Branchen mit eher niedrigen Löhnen und oft fehlender tarifvertraglicher Absicherung trifft, sind die finanziellen Einbußen für die Betroffenen besonders schwer zu verkraften. Die aktuelle Regelung sieht vor, dass das Kurzarbeitergeld in den ersten sechs Monaten 60 Prozent vom Nettoentgelt beträgt und erst ab dem siebten Monat auf 80 Prozent ansteigt.

„Hier muss für die unteren Lohnsegmente dringend etwas passieren“, betont Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. „So, wie es jetzt läuft, kommen viele schon nach kurzer Zeit in prekäre Situationen.“ Um dem entgegenzuwirken, sei zum Beispiel die Einführung eines Mindestkurzarbeitergeldes von 1.200 Euro eine gute Option. Auch das österreichische Modell sei denkbar, nach dem das Kurzarbeitergeld in den unteren Verdienstgruppen von Anfang an auf bis zu 90 Prozent angehoben wird.

„Minijobberinnen und Minijobber bekommen weder Kurzarbeiter- noch Arbeitslosengeld. Wenn sie entlassen werden, stehen sie mit nichts da.“
Regine Geraedts (Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik)

Reformbedarf im Minijobsektor

Verschärft wird die Lage dadurch, dass die Corona-Krise auf eine Wirtschaft im Wandel trifft und Veränderungsprozesse wie die Digitalisierung und Verschiebungen in den Branchenstrukturen nun beschleunigt. Es ist deswegen davon auszugehen, dass künftig auch unabhängig von den Auswirkungen der Pandemie in einigen Wirtschaftszweigen Arbeitsplätze verloren gehen werden, während an anderer Stelle neue entstehen.

Das ist die Stunde der Arbeitsmarktpolitik“, macht Geraedts deutlich. Drei große Aufgaben seien akut zu bewältigen: „Es geht jetzt darum, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu erhalten und eine neue Beschäftigungsentwicklung zu unterstützen. Entstehende Arbeitslosigkeit muss schnell abgebaut werden, wofür wir eine Qualifizierungsoffensive und eine Entlastung des Arbeitsmarktes durch Beschäftigungsförderung brauchen. Und drittens gilt es, das soziale Sicherungssystem zu stärken.“

Gezielte Investitionen in Umschulungen und Weiterbildungen sowie ein ausgeweitetes Angebot an Möglichkeiten zur Nachqualifizierung für Menschen ohne Berufsabschluss könnten neue Perspektiven schaffen und dafür sorgen, die Herausforderungen der Zukunft ohne soziale Verwerfungen zu bewältigen. 

Im Dezember 2020 waren fast 41.000 Menschen arbeitslos, 5.000 mehr als ein Jahr zuvor.

Was die aktuelle Krise noch einmal eindringlich unterstreicht: Besonders kritisch ist die Arbeitsmarktlage von Menschen in prekärer Beschäftigung. Leiharbeitskräfte und geringfügig Beschäftigte fungieren als flexible Manövriermasse und verlieren meist als Erste ihre Arbeit, wenn es eng wird. „Wir weisen schon seit Langem darauf hin, dass es im Minijobsektor dringenden Reformbedarf gibt“, betont Regine Geraedts.

Weil sie von der Sozialversicherungspflicht befreit sind, haben die Minijobberinnen und Minijobber keinerlei Schutzansprüche: „Sie bekommen weder Kurzarbeiter- noch Arbeitslosengeld. Wenn sie entlassen werden, stehen sie mit nichts da.“ Das unterminiere die Basis einer sozialstaatlichen Arbeitsmarktordnung. Denkbar sei es, die Geringfügigkeitsschwelle von derzeit 450 Euro abzusenken, um mehr Beschäftigte in die Schutzzonen der Sozialversicherung zu bringen, so die Referentin.

Frust im Gastgewerbe

Besonders viele geringfügig Beschäftigte sind im Bremer Gastgewerbe betroffen: Zwischen September 2019 und September 2020 sank hier die Zahl der Minijobs von 11.169 auf 9.684, was einem Minus von 13,3 Prozent entspricht. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen war im selben Zeitraum ein Rückgang von 10.212 auf 9.336 (minus 8,6 Prozent) zu verzeichnen. Bis Februar dieses Jahres war diese Zahl weiter auf 8.500 gesunken.

„Im Gastgewerbe haben gleich von Beginn des ersten Lockdowns an viele Beschäftigte ihre Arbeitsstellen verloren oder verlassen“, berichtet Iris Münkel von der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätten (NGG) Bremen-Weser-Elbe. „Wenn die Trinkgelder wegfallen, ist das schon ein Drama, das viele nicht auf Dauer durchhalten. In Kombination mit dem Kurzarbeitergeld hat das dann schnell zu Situationen geführt, in denen manche plötzlich ihre Miete nicht mehr bezahlen konnten.“ Wem es gelungen sei, in dieser Zeit einen Nebenjob zu finden und diesen gegebenenfalls auszubauen, der habe die Branche häufig dauerhaft verlassen.

Die Zahl der Minijobs im Gastgewerbe sank zwischen September 2019 und September 2020 um knapp 13,3 Prozent.

Während des ersten Lockdowns sei die Grundstimmung noch vergleichsweise positiv gewesen, berichtet Münkel. Viele hätten die Gelegenheit zur Entschleunigung genutzt und Dinge getan, die sie schon immer tun wollten. „Aber dann dauerte dieser Zustand immer länger und wurde immer schwieriger, auch finanziell. Das war vor allem für diejenigen schlimm, die Familie haben.“

Mit Beginn des zweiten Lockdowns seien dann Frust, Angst und Hilflosigkeit immer größer geworden. Ein Punkt, der die Gewerkschaftssekretärin besonders ärgert: „In der ganzen Diskussion geht es immer nur um die Gesundheit der Gäste. Der Arbeitsschutz und die Gefährdung der Beschäftigten bleiben völlig außen vor.“ Trotz aller Probleme sieht sie in der aktuellen Situation aber auch eine Chance für die Zukunft. „Viele Betriebe sind gerade dringend auf der Suche nach qualifiziertem Personal. Sie sind darum unter Zugzwang, künftig bessere Verträge und Arbeitsbedingungen anzubieten.“

Löhne sinken

Fürs Erste hat die Corona-Krise allerdings dafür gesorgt, dass auch die Löhne branchenübergreifend spürbar gesunken sind. Die Summe der Bruttolöhne und -gehälter ist 2020 so stark gesunken wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Am stärksten betroffen war hiervon in Bremen mit einem Minus von nominal 6,9 Prozent die Industrie, wo zwischenzeitlich teilweise die Bänder stillstanden.

„In der ganzen Diskussion geht es immer nur um die Gesundheit der Gäste. Der Arbeitsschutz und die Gefährdung der Beschäftigten bleiben völlig außen vor.“ Iris Münkel (NGG)

Insgesamt seien die Einkommen zwar bisher noch eher moderat gesunken, erläutert Tobias Peters, Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik bei der Arbeitnehmerkammer. „Es besteht aber die sehr reale Gefahr, dass im Nachgang die Schere zwischen den verfügbaren Einkommen weiter auseinandergeht. Denn gerade für die unteren Einkommensgruppen, Minijobber und ungelernten Arbeitslosen wird es auch nach der Krise schwer, Fuß zu fassen.“ In der jetzigen Situation sei es wichtig, über eine faire Lastenverteilung der CoronaKosten nachzudenken: „Extrem große Vermögen und Einkommen werden ihren Anteil zur Bewältigung der Krise leisten müssen.“

Die Bremer Löhne sanken in der Industrie am stärksten: um fast 7 Prozent.

Unterdessen ist Koch Antonio Pauli glücklich, seit Pfingstmontag wieder arbeiten zu können. „Es war der Hammer, als ich das erste Mal wieder in der Küche stand“, erzählt er. Zwar nehme er momentan noch eine gewisse Angst wahr, wie es jetzt weitergehe. „Aber ich bin ein Optimist, darum bin ich auch in den vergangenen Monaten nicht in ein Loch gefallen. Jetzt werde ich zusehen, dass ich langsam wieder in die Normalität zurückfinde.“ Sein Ziel, irgendwann den Führerschein zu machen, habe er jedenfalls noch lange nicht aufgegeben.

 

Aufschwung muss bei Beschäftigten ankommen AKB_Icon_Comment2

Kommentar von Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer

Viele Beschäftigte haben in der Corona-Zeit schmerzliche Einkommensverluste erfahren. Zwar hat das Kurzarbeitergeld dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Menschen ihre Arbeit verlieren, aber wenn das Gehalt gering ist und Kosten weiterlaufen kann auch Kurzarbeit existenzbedrohend werden – und Beschäftigte in Minijobs haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

Andererseits haben Aktienkurse deutlich an Wert gewonnen, die Zahl der Milliardäre steigt. Dax-Unternehmen haben zuletzt die größten Gewinne seit der Finanzkrise gemacht und trotz Kurzarbeit Dividenden ausgeschüttet. Es kann nicht sein, dass Kapitaleinkünfte steigen und Einkommen aus Arbeit sinken. Am nächsten Aufschwung sollten alle beteiligt werden, damit Vermögensaufbau auch mit einem „normalen“ Arbeitnehmerlohn möglich ist.

Ausbildungsplatzsuchende brauchen Unterstützung, Qualifizierungsangebote können prekäre Beschäftigung zurückzudrängen und ein höherer Mindestlohn würde helfen. Die Lasten durch Corona müssen fair verteilt werden. Das heißt auch, dass extrem große Einkommen und Vermögen ihren Anteil leisten.