„Wir hoffen, dass das Schule macht“

Ein Modellprojekt soll Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern

Fragen: Jan Zier
Foto: Nikolai Wolff/St. Joseph-Stift
Februar 2024

In Bremen startet jetzt das Modellprojekt "Ich pflege wieder, weil..." für gute Pflege im Krankenhaus. Wie kam es dazu?

Elke Heyduck: Die Arbeitnehmerkammer hat ja 2022 die Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ veröffentlicht, gemeinsam mit der Arbeitskammer des Saarlandes und dem Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Das war eine bundesweite Befragung, bei der sich herausstellte, dass in Deutschland mindestens 300.000 zusätzliche Pflegekräfte zur Verfügung stehen könnten. Auch für uns überraschend war: Mehr als 50 Prozent der Teilzeitkräfte würden ihre Arbeitszeit aufstocken, knapp 60 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren – wenn die Rahmenbedingungen stimmen! Allein im Land Bremen wären das bis zu 1.500 Pflegefachkräfte mit Berufserfahrung. Da haben wir uns gedacht: Dafür brauchen wir jetzt einen Praxistest. Deswegen wollten wir mit der Studie in der Hand unbedingt ein solches Modellprojekt umsetzen.

So etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wir brauchen die Politik, die das unterstützt und mitfinanziert, wir brauchen einen Akteur, der das vor Ort umsetzt. Deswegen sind wir wirklich froh, dass wir nun mit dem Krankenhaus St. Joseph-Stift in Bremen einen Praxispartner haben, mit Claudia Bernhard eine Gesundheitssenatorin, die das Anliegen voll unterstützt und mit Claudia Schilling eine Arbeitssenatorin, die das Projekt aus der Entgelt- und Gleichstellungsstrategie des Landes sowie mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds Plus finanziert. Gemeinsam haben wir es geschafft, jetzt dieses Modellprojekt auf die Beine zu stellen.

Was ist da konkret geplant?

Dieses Modellprojekt geht mit sehr handfesten Verbesserungen für die Pflegebeschäftigten einher. Es wird dort Betriebsvereinbarungen geben, also sehr verbindliche Verabredungen zwischen dem Arbeitgeber und der Mitarbeitendenvertretung. Dort soll festgelegt werden, mit welcher Personaldecke auf den Stationen gearbeitet werden soll, aber auch wie das Ausfallmanagement gestaltet wird. In allen Kliniken, in der Pflege insgesamt haben wir ja ein Riesenproblem, sobald Beschäftigte krank werden oder aus anderen Gründen ausfallen, zum Beispiel wegen eines Notfalls in der Kinderbetreuung. Wenn es dann keinen Pool an Leuten gibt, aus dem man Ersatz organisieren kann, werden Kolleginnen und Kollegen angerufen, die eigentlich frei haben. Das ist eine große Belastung, wie man sich vorstellen kann: Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Wochenende und dann ruft am Samstag jemand an und fragt: „Kannst du nicht doch arbeiten?“ Das kennen die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ja gar nicht! In der Pflege ist das aber quasi an der Tagesordnung. Und um dem zu begegnen, soll im Krankenhaus St. Joseph-Stift unter anderemeine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, die Beschäftigten „in ihrem Frei“, wie man so sagt, besser schützt.

Es wird aber noch weitere Verbesserungen geben: Wir waren zum Beispiel sehr beeindruckt, dass das Krankenhaus St. Joseph-Stift ein ausgefeiltes Onboarding-Programm etablieren will. Alle, die in die Pflege zurückkommen, sollen wirklich intensiv eingearbeitet werden. Wenn zum Beispiel die Elternzeit vorbei ist und man jetzt wieder in den Pflegeberuf einsteigen möchte, wird man nicht ins kalte Wasser geschmissen, sondern von einer Mentorin oder einem Mentor an die Hand genommen. Wir sind uns mit der Gesundheitssenatorin einig, dass wir mit dem Antrag des St. Joseph-Stiftsein sehr gutes Modellprojekt vor Augen haben.

Welche konkreten Ziele hat die Arbeitnehmerkammer dabei?

Wir wollen zeigen, dass wir heute weniger einen Mangel an Pflegekräften haben als vielmehr einen Mangel an guten Arbeitsbedingungen. Wenn das stimmt – und das wollen wir hier beweisen –, dann kommen die Leute wieder, dann stocken Beschäftigte ihre Stunden auf, weil sie so pflegen dürfen, wie sie es gelernt haben. Denn das große Problem in der Pflege ist ja die Schere zwischen dem, was man der Ausbildung lernt und dem Praxisalltag. Dort ist vieles nicht mehr möglich, weil die Personaldecke zu dünn ist, weil es zu wenig Wertschätzung für die Arbeit der Pflegekräfte gibt, weil auch Führungskräfte zu wenig Zeit haben, um ihrer Rolle angemessen nachzukommen. Diese Schere ein Stück weit zu schließen ist das Ziel dieses Modellprojekts.

Nur die Bezahlung bleibt wie sie ist, oder?

Ja. Leider können wir an der Bezahlung nichts ändern. Wir können in Bremen jetzt keine Insel gründen, auf der ein angemessenes Gehalt für die Pflege gezahlt wird. Das ist ein dickes Brett, das die Politik bohren muss, damit die Pflege besser ausfinanziert wird – sowohl über die Krankenversicherung als auch – im Fall der Altenpflege – über die Pflegeversicherung. Wir müssen also auf politischer Ebene weiter dafür kämpfen, dass es mehr Geld für die Pflege gibt!

Soll hier in Bremen also ein bundesweites Vorbild entstehen?

Mit unserer Studie ist es uns sogar gelungen, im Bundesgesundheitsministerium für Aufmerksamkeit zu sorgen. Jetzt hoffen wir natürlich, dass auch das Modellprojekt Schule macht, in Bremen, aber auch in anderen Bundesländern – und am Ende eben auch bei der Bundesregierung ankommt. Wir müssen weiter an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege arbeiten – dann können wir auch wieder Fachkräfte zurückgewinnen, die wir einmal ausgebildet haben. Das ist ja auch einfach eine volkswirtschaftliche Frage: Die Pflegeschulen werden öffentlich finanziert, die Schülerinnen und Schüler bekommen eine Ausbildungsvergütung. Da fallen viele Kosten bei der öffentlichen Hand an und wir riskieren, dass wir nicht sehr lange etwas von diesen Investitionen haben, weil die Leute aus dem Beruf aussteigen. Also: Schon allein ökonomisch lohnt es sich, in die Pflege zu investieren – damit die Fachkräfte bleiben oder sogar zurückkommen und länger in ihrem Beruf arbeiten können und wollen.